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Sensibel und Low-Budget

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Feldkirch – Es geht nicht nur ums Bauen, sondern der Prozess ist interessant und wie sich die Menschen dabei verändern, ganz im Sinne von J. W. von Goethe: Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.

Abgesehen davon, was es zu entdecken und erforschen gibt, wenn ein altes Bauernhaus renoviert wird, ergibt sich in Gisingen mit dem neu hergerichteten, uralten Gebäude und dem mächtigen Nussbaum ein außenräumlich, städtebaulich höchst interessantes Ensemble. Dabei ist es gar nicht so wichtig, wie die einzelnen Häuser aussehen, sondern wie sie zueinander an der Straße stehen und einen einladenden halböffentlichen Platz bilden. Schwarz gestrichen, an die abgewitterten, sonnenverbrannten Fassaden erinnernd, verraten die blaugrünlichen Fensterläden des wiedererweckten Bauernhauses, dass hier sensibel und bedächtig renoviert wurde. Markus Gohm, der Architekt, erzählt die Geschichte: Norbert Nägele, den Bruder der Bauherrin Regina Zink kennt er schon seit Studienzeiten. Die Buchhandlung der beiden, Cervantes & Co Buch und Wein, liegt gegenüber vom Architekturbüro. Und es gab noch das Elternhaus, in katastrophalem Zustand, kaputt gebastelt, mit Schichten von PVC in Eichenoptik und in den Stall ausufernden Warzen. Für die Architekten war klar, das Haus braucht die Abgrenzung zwischen Wohnteil und Stall. Man entwickelte zuerst eine freie Raumstruktur für den Wirtschaftsteil des Gebäudes. Bei dem straffen Budget, das zur Verfügung stand, blieb es jedoch bei der Option für später und das ursprüngliche Wohnhaus wurde zu zwei Einheiten umgebaut, im Erdgeschoß altersgerecht, für den Vater, oben für Regina.

An diesem Punkt tritt eine entscheidende Person im Baugeschehen auf: Der Archäologe Stephan Zink, Sohn von Regina. Er, der ansonsten in Rom am Palatin forscht, findet plötzlich im Haus der Großeltern archäologische Betätigungsfelder. Mit Raimund Rhomberg wurde die Bausubstanz dokumentiert und erforscht. Angeblich, so erzählte man sich in der Familie, stand das Gebäude früher einmal in Matschels und wurde aus dem Sumpfgebiet abgetragen und in Gisingen wieder aufgebaut. Akribisch suchten sie nach Teilen, welche noch die ursprüngliche Geschichte des Hauses erzählen. Sie fanden heraus, dass der Kernbau ins 17. Jahrhundert datiert. Die vielen Bauphasen und Schichten hatten teilweise die Holzkonstruktionen erstickt, der traditionell quadratische Grundriss mit typisch angeordneter Küche, Diele, Stube, großem Schlafzimmer und Kammer, allesamt durch Türen verbunden, war nicht mehr zu erkennen. Ulf Hiessberger, der Büropartner, zeigt die Pläne, um dies zu erläutern. Die angebauten, mit Styropor verkleideten Ausbuchtungen wurden entfernt, Badezimmer und Schlafzimmer im Dachboden der sogenannten Friseurstube (das wäre eine eigene Story) untergebracht. Dazu hob man einfach das Dach an. Die Zirkularverbindung wird wieder hergestellt, die Türen, die irgendwo hingen, sind renoviert. „Du kannst immer wieder rundherum gehen, bis der Eindruck entsteht, es sind zehn Zimmer!“ Mit den konischen Leibungen kommt ein neues Element hinzu, die kleinen Fenster wirken hell und groß, obwohl die Mauern um die Innenisolierung angewachsen sind. Die natürliche Belichtung des Eingangsbereiches erfolgt über das Dach, die Treppe bleibt erhalten. Damit der zweigeschoßige Raum noch großzügiger wirkt, wird die Wand im Obergeschoß etwas zurückgesetzt, das Schwarz steht dem Foyer sehr gut.

„Ich kann nur sagen, dass ich mich unglaublich wohl fühle“, stimmt Regina Zink ein. Dabei konnte sie sich nicht vorstellen, ohne ebenerdigen Gartenzugang auszukommen, oder dass der Holzfußboden sägerauh bleiben sollte. Große Bedenken hatte sie wegen der niedrigen Raumhöhe. Aber auch hier spürt die Hausherrin, dass die Proportionen absolut stimmig sind und sich ein luxuriöses Lebensgefühl einstellt. „Dieses Buch: „Dichter und ihre Häuser“ habe ich immer so geliebt und ich dachte, nie krieg ich so eine Wohnung, nie! Und Markus hat es geschafft: die Farben, die Räume, die Bücher, genau so, wie auf diesen schönen Fotos!“ Spätestens in der Bibliothek wird die Passion, welche Regina zum Beruf gemacht hat, augenscheinlich. Bücher, rundherum. Und auch das flächendeckende Regal, in variierenden Breiten und Höhen, damit kein leerer Fleck übrig bleibt, ist bis ins Detail ausgeklügelt.

Dass die alten Möbel, die Regina der Low-Budget- Geschichte folgend hineingestellt hat, in neuem Charme glänzen, hätte sich Stephan wiederum nicht vorstellen können. Markus Gohm resümiert: „Es war wirklich ein ungewöhnlich langer Prozess, der sich vor und zurück abgespielt hat, schlussendlich ist jedoch gelungen, qualitäts- und lustvollen Lebensraum zu schaffen und zukünftige Entwicklungen offen zu lassen.“ Träumerisch zitiert Ulf vom Plakat, das über dem Essplatz hängt: „Dichtung und Literatur ist ein Schmetterling, der sich auf meinem Kopf niederlässt und mich um so lächerlicher erscheinen lässt, je größer seine Schönheit ist. Fernando Pessoa“

Daten und Fakten

Objekt: Umbau Wohnhaus Gisingen

Bauherrschaft: Regina Zink

Architektur: Gohm & Hiessberger Architekten, www.gohmhiessberger.com, Feldkirch

Bauforschung: Raimund Rhomberg, Dornbirn; www.raimund-rhomberg.at Stephan Zink, ETH Zürich

Planungszeit: 2010–2012

Bauzeit: 2011–2012

Grundstück: 994 m²

Nutzfläche: 176 m²

Wohneinheiten: 2 Wohneinheiten im Bestand, Option auf eine weitere in Scheune/ Stall

Konstruktion: Außenwände: Holzkonstruktion; Innenwände: Bestand Holz, Mauerwerk und neu Leichtbau, Mauerwerk; Decken, Dächer, Treppe: Holzkonstruktion; Fassade Holzschindeln; Fußböden: Weißtanne sägerauh; Wandtäfer: Weißtanne

Heizung: Erdsonde und Wärmepumpe

Ausführung: Zimmerer Wolfgang Merhar, Feldkirch; Maler Hoch, Gisingen; Installation Manfred Gangl, Gisingen; Elektro Kühne, Feldkirch; Weißtanne Hermann Nenning, Hittisau; Fenster Tiefenthaler, Ludesch; Bücherregale Tischlerei Hugl, Gisingen; Badezimmer- Möbel Elias Ulrich, Satteins; Farbgestaltung Martina Hladik roomservice, Dornbirn

(VN/ Leben & Wohnen – die Immobilienbeilage der Vorarlberger Nachrichten)

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten.
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Mit freundlicher Unterstützung durch Arch+Ing

 


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